Paradigmenwechsel im Content Marketing: Social Graph vs. Content/Interest Graph

Social Media Geschrieben von Tatjana Walpersberger

Tatjana Walpersberger

Paradigmenwechsel im Content Marketing: Social Graph vs. Content/Interest Graph

Nach einem Blick in die Glaskugel (+ unserer Erfahrung & etwas Recherche), stellen wir folgende These auf: Die Art und Weise, wie die kommende Generation von Social-Media-Nutzer:innen an „soziale“ Medien herangehen wird, wird sich durch den Erfolg von TikTok verändern. Sie wird weniger „sozial“ werden als wir es gewohnt sind. Warum? Weil sich die Algorithmen von Social Media Plattformen verändern und es den Anschein macht, als würde der Interest Graph den Social Graph in den Hintergrund drängen. Das hat erhebliche Auswirkungen für dein Content Marketing. Welche? Erklären wir dir in diesem Blogpost. Doch zuerst: Let’s start with the basics.

Grafik: Wen kennst du & wem folgst du vs. Was magst du & was schaust du?

Was ist ein Social Graph?

Soziale Netzwerke sind im Wesentlichen Graphen, in denen Personen und Organisationen Knoten sind und Beziehungen und Interessen Links. Obwohl viele Menschen denken, dass alle sozialen Netzwerke gleich sind, sind sie sehr unterschiedlich und unterscheiden sich in der Regel durch ihre zugrunde liegenden Graphen.

Die übliche [vereinfachte] Sichtweise, die viele von sozialen Netzwerken haben, ist die eines sozialen Graphen, in dem Menschen Knoten und Beziehungen Links sind. In meinem sozialen Graphen bin ich zum Beispiel mit meinen Freund:innen, meiner Familie, meinen Bekannten sowie von mir auserwählten Influencern und Unternehmen verbunden. Ich tausche Fotos, Nachrichten und Neuigkeiten mit ihnen aus, sehe was sie liken und kommentieren. Der soziale Graph fokussiert sich also darauf abzubilden wen du kennst und wie du mit diesen Personen in Beziehung stehst um dir mehr Inhalte von deinen Verbindungen, als von Personen, die nicht mit dir verbunden sind, anzuzeigen.

Die Social-Media-Plattformen der letzten zehn Jahre (2010 bis 2020) konzentrierten sich alle auf den sozialen Graphen – Freund:innen, Kolleg:innen und Familie -, weil die großen Plattformen und Algorithmen dieser Zeit davon ausgingen, dass die Nutzer:innen über die neuesten Ereignisse im Leben der Menschen, die ihnen wichtig sind, auf dem Laufenden bleiben wollten. Das berühmteste Beispiel für eine traditionellerweise auf dem Social Graph basierenden Plattform ist Facebook.

Der Gedanke hinter dem Social Graph ist, dass Menschen eher etwas mögen, was ihre Freunde oder Familienmitglieder mögen. Man kann sich das wie eine personalisierte Online-Empfehlung eines Freundes vorstellen. Bist du jedoch mit jemandem befreundet, der völlig andere Interessen hat, wird es schwierig.

Ein Beispiel:

Nehmen wir an du bist eine umweltbewusste, ende-20-jährige Veganerin. Vermutlich hast du weniger Gemeinsamkeiten mit deinem rechtsradikalen Onkel als mit einer dir völlig fremden, aber gleichgesinnten Veganerin. Auf Plattformen, die dem Social Graph zugrunde liegen, wird dir dennoch mehr von dem Content angezeigt, den dein rechtsradikaler Onkel likt, als die veganen Themen, die dich wirklich interessieren.

Dies ist die grundlegende Einschränkung des sozialen Graphen, denn es ist nicht immer sicher oder profitabel, davon auszugehen, dass du alles magst, was deine Freunde tun. Der soziale Graph deckt die Welt um dich herum ab, aber nicht viel von dir. Unsere Welt besteht aus viel mehr als unserer Familie und unseren Freunden; es geht auch um unsere Interessen, Gedanken und Überzeugungen.  Hier kommt der Interessengraph ins Spiel.

Was ist ein Content/Interest Graph?

Beim Content Graph, auch Interest Graph genannt, sind Personen nicht durch Beziehungen, sondern durch ihre Interessen und Überzeugungen miteinander verbunden. Einfach ausgedrückt, ist ein Interessengraph ein Netzwerk von Menschen, die dieselben Interessen teilen und über die Produkte und Hobbies, die sie mögen, miteinander verbunden sind.

Um die Persönlichkeit und die Interessen von Nutzer:innen zu erfassen, verfolgen Plattformen, die dem Content Graphen zu Grunde liegen, die Vorlieben und Abneigungen von Nutzer:innen und erstellen ein Interessenprofil des Users. Sobald das Verhalten der Nutzer:in mit dem Verhalten einer Gruppe von Nutzer:innen übereinstimmt, wird die Plattform beginnen, dem User Vorschläge und Empfehlungen auf der Grundlage dessen zu senden, wofür sich die Personen aus dieser Gruppe normalerweise interessieren. Zur Erinnerung: Auf Plattformen, die dem sozialen Graphen zu Grunde liegen, wären die Empfehlungen mit den Vorlieben des sozialen Netzwerks des Users abgeglichen worden.

Das aktuell wohl berühmteste Beispiel einer Plattform, die auf dem Content Graph aufbaut, ist TikTok. TikTok selbst gibt Einblicke darüber, wie ihr Algorithmus funktioniert, und daraus es gibt einige wertvolle Erkenntnisse – wie Axios berichtet:

“When users open TikTok for the first time, they are shown 8 popular videos featuring different trends, music, and topics. After that, the algorithm will continue to serve the user new iterations of 8 videos based on which videos the user engages with and what the user does.”

Eine der Hauptstärken des Algorithmus von TikTok im Gegensatz zu anderen sozialen Plattformen ist, dass TikTok ein weitgehend offenes Netzwerk ist, das weniger sozial” ist, sprich weniger davon abhängt, wem man folgt oder mit wem man befreundet ist, sondern eher von populären Trends und dem eigenen Interesse an und Engagement mit diesen Trends diktiert wird.

Das Interesse und Engagement eines Users misst TikTok laut eigener Angaben basierend auf:

  • Direkter Interaktion: Kommentare, Likes, Followers und Shares
  • Vervollständigungsraten: Videos, die bis zum Ende angesehen werden
  • Videoinformationen: z.B. bestimmte Sounds, Hashtags, Untertitel von Videos
  • Geräte- und Kontoeinstellungen: z.B. Sprachpräferenz, Ländereinstellung, Mobilgerätetyp

Sobald TikTok genügend Daten über den/die Nutzer:in gesammelt hat, ist die App in der Lage, die Vorlieben der Nutzer:in im Verhältnis zu ähnlichen Nutzer:innen abzubilden und sie in „Clustern“ zu gruppieren. Gleichzeitig werden auch Videos nach ähnlichen Themen wie „Veganismus“ oder „Politik“ in „Clustern“ zusammengefasst. Auf TikTok würdest du als offene Veganerin also mit ziemlicher Sicherheit nicht den gleichen Beitrag angezeigt bekommen, den dein rechtsradikaler Onkel likt.

Der Algorithmus von TikTok drängt User weniger dazu, Nutzer:innen zu folgen, sondern filtert sie vielmehr in Inhaltskategorien. Auf der Grundlage seines Engagement-Graphen stellt TikTok fest, dass sich ein User mit größerer Wahrscheinlichkeit für bestimmte Inhalte interessiert, womit sich auch andere Nutzer:innen mit ähnlichen Interessenprofilen beschäftigt haben. Auf der Grundlage dieser Elemente passt TikTok dann den Feed eines Users an seine/ ihre Präferenzen an, wobei themenbezogene Beiträge anstatt von Personen der Ausgangspunkt sind.

Woran lässt sich der Erfolg vom Content Graphen erkennen?

1) Auf dem Content Graphen basierende Plattformen haben die höchste Verweildauer.

Das TikToks auf dem Content/ Interest Graphen basierende Strategie sehr gut funktioniert und bei User immer mehr ankommt, zeigt sich anhand den Nutzer:innenzahlen der Plattform. Wie Sensortower berichtet, ist TikTok jene Social Media Plattform mit der höchsten Verweildauer – im Q2 2022 nutzten User die Plattform im Schnitt 95 Minuten pro Tag.

Averge Daily Minutes Spent In-App During Q2 2022

Damit liegt TikTok nicht nur vor Instagram, sondern auch vor der Plattform YouTube, welche seit Jahren für ihre lange Verweildauern bekannt ist. Auch YouTube basiert auf dem Content-Graphen und zog Nutzer:innen mit interessensbasierten Inhalts-Empfehlungen in seinen Bann. TikTok hat das nun perfektioniert.

2) Facebook Reels, Instagram Reels, YouTube Shorts & Co.

Wir können derzeit beobachten, wie die sozialen Plattformen der 2010er Jahre den Content Graphen mehr und mehr in ihre Algorithmen integrieren. Sie führen laufend neuen Plattformfunktionen ein, die auf das Auftauchen von Inhalten ausgerichtet sind. Facebook und Instagram haben nun einen „Reels“-Bereich, der Inhalte von Menschen hervorhebt, die wir nicht kennen, die aber für uns interessant sein könnten. Ebenso tauchen «suggested posts» auf Instagram viel häufiger auf. Auch YouTube führt mit „Shorts“ ein Format ein, das auf die gleiche Weise wie Reels und TikToks funktioniert und stark vom Interessensgraphen einer Person abhängt.

Was bedeutet dieser Paradigmenwechsel nun für dein Social Media Content Marketing?

Schön und gut, aber was bedeutet das nun für mich?” denkst du dir, als im Social Media Content Marketing arbeitende Person, vielleicht gerade. Wir haben es für dich zusammengefasst:

  1. Sieh die neue Entwicklung als Chance. Alles in allem ist die Entwicklung des sozialen Graphen zum Content Graphen bzw. die Entwicklung zu einer Mischform aus den beiden (dem Sozio-Interessen-Graphen) unserer Meinung nach für dich als Marke klar von Vorteil. Es bietet dir die Gelegenheit, eine Gemeinschaft aufzubauen, die sich nicht nur auf direkte Follower beschränken muss. Die Umstellung bedeutet, dass Marken mit guten Inhalten immer Menschen erreichen können, auch wenn diese ihnen nicht folgen. Die Beschränkungen der sozialen Algorithmen der Vergangenheit – wie 1 % organische Reichweite für Follower ohne bezahlte Werbung – könnten dank des Content Graphen überwunden werden.
  2. Finde den Interessensgraphen deiner Zielgruppe heraus. Inhalte werden vermehrt interessensbasiert ausgespielt. Daher ist es für dich spätestens jetzt an der Zeit herauszufinden, welche Interessen deine Zielgruppe denn tatsächlich hat. Wenn du noch keine Plattform nutzt, die dir Interessensgrafikdaten zur Verfügung stellt, dann nutze die Erstanbieter-Datenquellen deines Unternehmens. Das können z. B. deine Website oder Nutzer:innenumfragen sein. Wenn du Zugang zu einer Kundendatenplattform in deinem Unternehmen hast, umso besser. Auch altbekannte Ansätze wie das Erstellen von Personas oder das detaillierte Beschäftigen mit der Customer Journey und den Pain Points deiner Zielgruppe könnten dir auf die Sprünge helfen. Starte außerdem eine Social Media Content Analyse, in welcher du dir ansiehst, welche Social Content Pieces aus der Vergangenheit am besten performt haben und welche Beiträge bei der Konkurrenz gut ankamen. Darauf aufbauen versuche abzuleiten, welche User-Interessen sich dahinter verbergen könnten.
  3. Finde deine Subkultur & lerne von ihr. Hast du die Interessen deiner Zielgruppe identifiziert, stehen die Chancen gut, dass sich diese Zielgruppe auf Content-basierten Plattformen wie TikTok bereits zu einer Subkultur zusammengeschlossen hat. Glücklicherweise versammeln sich TikTok-Subkulturen rund um Hashtags, weshalb du sie leichter finden kannst. Beispiele sind z.B. #MomsofTikTok (für Erziehungs-Hacks und Witze rund ums Eltern-sein) oder #FitTok (für Fitness Challenges, Tutorials und Inspirationen). Verfolge diese Subkulturen gespannt und lerne ihre Sprache kennen.
  4. Nimm dir die Prämisse „Content is King“ mehr den je zu Herzen. Der Name «Content Graph» lässt es erahnen: Guter Content ist der heilige Gral. Nachdem du die Interessen und Vorlieben des Publikums herausgefunden hast, geht es nun darum sie mit authentischen Inhalten zu begeistern und möglichst viel Engagement hervorzurufen. Behalte dabei im Hinterkopf woran Plattformen wie z.B. TikTok Engagement messen und verwende unsere oben angeführte Liste als Spickzettel.

Wir hoffen unser Blog-Beitrag hat etwas Licht ins Dunkel rund um die Themen „Social Graph“ und „Content/ Interest Graph“ gebracht und du fühlst dich für den prophezeiten Paradigmenwechsel besser gewappnet. Solltest du bei der Anwendung unserer Tipps und deinem Social Media Marketing noch Unterstützung benötigen, dann kontaktiere uns gerne. Wir freuen uns von dir zu hören/ lesen & helfen gerne weiter.